NEUROLOGIE MIT HERZ
PERSÖNLICH. KOMPETENT. EINFÜHLSAM.


Was ist ein atypischer Gesichtsschmerz? Der atypische Gesichtsschmerz, auch persistierender idiopathischer Gesichtsschmerz genannt, ist eine Form von chronischen Gesichtsschmerzen, bei der kein klarer Auslöser oder keine sichtbare Ursache gefunden wird. Die Schmerzen sind dauerhaft, oft dumpf, brennend oder drückend und betreffen meist eine Gesichtshälfte, manchmal auch beide Seiten. Anders als bei Nervenschmerzen treten keine kurzen, elektrisierenden Schmerzattacken auf, sondern ein kontinuierlicher Schmerz, der über Monate oder Jahre anhalten kann.

Wie fühlt sich der Schmerz an?
Viele Betroffene beschreiben den Schmerz als tief liegend, ziehend oder brennend, manchmal auch als Druck oder Spannungsgefühl. Die Beschwerden können im Bereich der Wangen, des Oberkiefers, der Nase oder der Stirn liegen und verändern im Verlauf manchmal ihre Ausdehnung oder Intensität. Typischerweise gibt es keine klaren Auslöser – die Schmerzen treten spontan auf und halten über längere Zeit an. Schmerzfreie Phasen sind selten. Manchmal bestehen zusätzlich ein leichtes Taubheitsgefühl oder Missempfindungen, ohne dass sich eine Nervenläsion nachweisen lässt.

Wie entsteht der Schmerz?
Die genauen Ursachen sind bis heute nicht vollständig verstanden. Es handelt sich um eine sogenannte „funktionelle Schmerzstörung“, bei der die Verarbeitung von Schmerzsignalen im Nervensystem verändert ist. Häufig entsteht der Schmerz nach einer zahnärztlichen Behandlung, einer Operation, einem Unfall oder einer Entzündung im Gesichtsbereich – selbst wenn diese Eingriffe längst verheilt sind. Dabei kann das Nervensystem in einen Zustand erhöhter Empfindlichkeit geraten. Man spricht von einer „zentralen Sensibilisierung“. Auch seelische Belastungen wie Stress, Angst oder depressive Verstimmungen können die Wahrnehmung und Verstärkung des Schmerzes beeinflussen.

Wer ist besonders betroffen?
Der atypische Gesichtsschmerz tritt häufiger bei Frauen als bei Männern auf, meist im mittleren Lebensalter zwischen 30 und 50 Jahren. Menschen mit anderen chronischen Schmerzen, etwa Spannungskopfschmerzen, Rückenschmerzen oder Fibromyalgie, haben ein höheres Risiko. Auch psychische Belastungen, eine depressive Verstimmung oder ein ausgeprägter Stresshintergrund können die Entstehung begünstigen.

Wie wird die Diagnose gestellt?
Die Diagnose wird gestellt, wenn die Schmerzen über mindestens drei Monate bestehen, keine eindeutige Ursache erkennbar ist und andere Erkrankungen ausgeschlossen wurden. Dazu gehört eine gründliche Untersuchung durch Neurologinnen, Zahnärzte und HNO-Ärzte. In der Regel werden eine Magnetresonanztomographie (MRT) des Kopfes und eine Untersuchung der Nasennebenhöhlen durchgeführt. Wichtig ist auch die Beurteilung der seelischen Situation, da psychische Belastungen häufig mitbeteiligt sind. Der atypische Gesichtsschmerz ist somit eine Ausschlussdiagnose: Man muss sicher sein, dass keine andere Erkrankung wie eine Trigeminusneuralgie, eine Infektion, eine Sinusitis oder ein Tumor vorliegt.

Was bedeutet „erweiterte Diagnostik“?
Wenn die Ursache weiterhin unklar bleibt, können zusätzliche Verfahren eingesetzt werden. Dazu gehören spezielle neurophysiologische Tests, die die Empfindlichkeit der Nerven prüfen, oder eine psychologische Diagnostik, die helfen kann, stressbedingte oder emotionale Einflussfaktoren zu erkennen. In besonderen Fällen kann eine hochauflösende MRT-Untersuchung durchgeführt werden, um auch kleinste Veränderungen an den Nerven oder Gefäßen zu erfassen. Ziel dieser erweiterten Diagnostik ist es, sicherzugehen, dass kein übersehener Auslöser vorliegt und die Behandlung möglichst gezielt erfolgen kann.




Wie verläuft die Erkrankung?

Der Verlauf ist meist chronisch, das heißt, die Schmerzen bleiben über längere Zeit bestehen. Die Intensität kann schwanken, es gibt aber selten längere beschwerdefreie Phasen. Je früher die Diagnose gestellt und eine gezielte Therapie begonnen wird, desto besser sind die Aussichten auf eine Linderung. Auch wenn eine vollständige Heilung nicht immer möglich ist, lässt sich der Schmerz durch eine kombinierte Behandlung häufig deutlich reduzieren.

Wie wird behandelt?

Die Behandlung des atypischen Gesichtsschmerzes erfolgt in mehreren Stufen. An erster Stelle stehen Medikamente, die auf die Schmerzverarbeitung im Nervensystem wirken. Dazu gehören niedrig dosierte Antidepressiva wie Amitriptylin oder Duloxetin sowie Antikonvulsiva wie Gabapentin oder Pregabalin. Sie dämpfen die Überempfindlichkeit der Nerven und können so den Schmerz deutlich lindern. Schmerzmittel wie Ibuprofen oder Paracetamol helfen dagegen meist nicht, da sie auf andere Schmerzmechanismen zielen.
Zusätzlich spielt die Psychotherapie, insbesondere die kognitive Verhaltenstherapie, eine zentrale Rolle. Sie hilft, den Schmerz besser zu verstehen, mit ihm umzugehen und Stress oder Ängste zu reduzieren. Physiotherapie, Entspannungstechniken, Atemübungen und Achtsamkeitstraining unterstützen die Behandlung. In hartnäckigen Fällen können Nervenblockaden oder moderne Verfahren wie die transkranielle Magnetstimulation versucht werden. In spezialisierten Zentren kommen in Einzelfällen auch Botulinumtoxin-Injektionen oder Ketamininfusionen infrage.


Was kann ich selbst tun?

Wichtig ist, die Erkrankung als reale, körperlich begründete Schmerzstörung zu verstehen – sie ist keine Einbildung. Ein geregelter Tagesrhythmus, ausreichend Schlaf, regelmäßige Bewegung und der bewusste Umgang mit Stress wirken stabilisierend. Entspannungsverfahren wie progressive Muskelrelaxation, Yoga oder Meditation können helfen, die Spannung im Körper zu verringern. Eine Schmerzchronifizierung lässt sich am besten verhindern, wenn frühzeitig eine multimodale Therapie begonnen wird und der Schmerz nicht über lange Zeit unbehandelt bleibt.



Wie sind die Heilungsaussichten?

Der atypische Gesichtsschmerz ist oft langwierig, aber behandelbar. Ziel ist nicht immer völlige Schmerzfreiheit, sondern die Wiederherstellung der Lebensqualität. Viele Patientinnen und Patienten erreichen unter einer Kombination aus Medikamenten, psychotherapeutischer Unterstützung und physikalischer Therapie eine deutliche Besserung. Geduld, eine offene Zusammenarbeit mit den behandelnden Ärzten und das Verständnis für die komplexe Natur dieser Erkrankung sind entscheidend für den Erfolg.