NEUROLOGIE MIT HERZ
PERSÖNLICH. KOMPETENT. EINFÜHLSAM.


Was ist ADHS bei Erwachsenen? Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung ist eine neurobiologisch bedingte Entwicklungsstörung, die bei einem Teil der Betroffenen auch im Erwachsenenalter fortbesteht. Sie äußert sich durch anhaltende Schwierigkeiten, die Aufmerksamkeit gezielt auf Aufgaben zu richten, Handlungen zu planen und Impulse zu kontrollieren. Während im Kindesalter motorische Unruhe und Überaktivität im Vordergrund stehen, zeigen Erwachsene meist eine innere Getriebenheit, Unruhe und Schwierigkeiten in Organisation und Selbststeuerung. Die Symptome führen oft zu Beeinträchtigungen in Beruf, Studium, Partnerschaft und Alltagsstruktur.

Wie entsteht ADHS? Die Entstehung beruht auf einer Kombination genetischer und neurobiologischer Faktoren. Studien belegen eine hohe Erblichkeit von etwa siebzig bis achtzig Prozent. Bestimmte Genvarianten beeinflussen die Aktivität der Botenstoffe Dopamin und Noradrenalin, die für Aufmerksamkeit, Antrieb und Selbstkontrolle bedeutsam sind. Dadurch arbeiten Hirnregionen, insbesondere im Bereich des Stirnhirns, anders zusammen als bei Personen ohne ADHS. Ergänzend können pränatale Einflüsse wie Rauchen oder Alkohol während der Schwangerschaft, perinatale Komplikationen oder psychosoziale Belastungen in der frühen Kindheit die Ausprägung verstärken. Die Störung entsteht jedoch nicht durch Erziehung, Lebensstil oder mangelnde Motivation. 

Welche Symptome treten im Erwachsenenalter auf? Im Erwachsenenalter zeigt sich ADHS vor allem durch Konzentrationsschwierigkeiten, Vergesslichkeit, rasch wechselnde Interessen und eine Neigung, Aufgaben zu unterbrechen oder aufzuschieben. Häufig fällt es schwer, Prioritäten zu setzen, langfristige Projekte zu planen oder Alltagsroutinen einzuhalten. Impulsives Verhalten kann sich in vorschnellen Entscheidungen, Rededrang oder unüberlegtem Handeln äußern. Emotionale Reaktionen treten oft intensiver und spontaner auf, was zu Konflikten führen kann. Bei vielen Betroffenen steht weniger die motorische Unruhe, sondern das subjektive Gefühl ständiger innerer Anspannung im Vordergrund.

Wann sollte eine diagnostische Abklärung erfolgen? Eine Abklärung ist sinnvoll, wenn Konzentrationsprobleme, Organisationsschwierigkeiten oder emotionale Impulsivität über längere Zeit bestehen und zu wiederkehrenden Problemen in mehreren Lebensbereichen führen. Besonders dann, wenn diese Merkmale bereits seit der Kindheit bestehen oder sich in der Schulzeit, Ausbildung oder Berufslaufbahn nachweisen lassen, sollte an ADHS gedacht werden. Häufig kommen Betroffene im Rahmen von Erschöpfung, Ängsten, Depressionen oder nach beruflichen Schwierigkeiten erstmals zur Diagnostik. Eine ärztliche Untersuchung dient dazu, ADHS von anderen möglichen Ursachen abzugrenzen und gezielte Behandlungsoptionen festzulegen.


Wie wird ADHS diagnostiziert? Die Diagnose wird nach internationalen Standards gestellt. Grundlage ist ein ausführliches ärztliches Gespräch mit Erhebung der gesamten Lebensgeschichte, inklusive der Kindheitsentwicklung, des schulischen und beruflichen Werdegangs sowie aktueller Belastungsfaktoren. Dabei werden standardisierte Fragebögen eingesetzt, etwa die Adult ADHD Self-Report Scale oder die Wender Utah Rating Scale. Ergänzend werden Fremdinformationen von Angehörigen, Partnern oder Eltern eingeholt, um die Symptome über die Lebensspanne zu beurteilen. Körperliche Untersuchungen und Laboranalysen dienen dem Ausschluss anderer Ursachen wie Schilddrüsenerkrankungen, Schlafstörungen oder Medikamentennebenwirkungen. Die Diagnose gilt als gesichert, wenn die Kriterien des DSM-5 erfüllt sind, die Symptome seit der Kindheit bestehen und eine funktionelle Beeinträchtigung vorliegt.

Welche Therapien stehen zur Verfügung? Für die Behandlung von ADHS im Erwachsenenalter existieren mehrere wissenschaftlich geprüfte Verfahren. Pharmakologische und psychotherapeutische Ansätze werden je nach Schweregrad kombiniert. Zu den medikamentösen Behandlungen zählen Stimulanzien wie Methylphenidat und Lisdexamfetamin. Diese Substanzen verbessern über die Regulierung der Botenstoffe Dopamin und Noradrenalin die Aufmerksamkeit, Impulskontrolle und Antriebskonstanz. Wenn Stimulanzien nicht geeignet oder nicht verträglich sind, können Nicht-Stimulanzien wie Atomoxetin oder Guanfacin eingesetzt werden, die ebenfalls auf das noradrenerge System wirken.

Neben der medikamentösen Therapie spielt die Psychotherapie eine zentrale Rolle. Verhaltenstherapeutische Verfahren unterstützen den Aufbau strukturierter Handlungsabläufe, die Verbesserung von Zeitmanagement und Selbstorganisation sowie die Reduktion dysfunktionaler Verhaltensmuster. Ergänzend werden Techniken zur Emotionsregulation, Stressbewältigung und Verbesserung der sozialen Kommunikation vermittelt. Psychoedukation, also die systematische Aufklärung über die Funktionsweise von ADHS, hilft Betroffenen, die Störung besser zu verstehen und aktiv an der Behandlung mitzuwirken.
In vielen Fällen werden ergänzende Maßnahmen eingesetzt, darunter Coaching, digitale Selbstmanagement-Programme und Gruppentherapien. Diese Interventionen zielen auf die Stabilisierung des Alltags und die langfristige Integration therapeutischer Strategien in Beruf und Privatleben.

Wie wird entschieden, welche Therapie geeignet ist? Die Auswahl richtet sich nach dem Schweregrad und der Beeinträchtigung. Bei leichter Ausprägung können Psychoedukation und strukturierte Verhaltenstherapie ausreichend sein. Bei mittelgradiger bis schwerer Symptomatik wird eine Kombination mit medikamentöser Therapie empfohlen. Eine regelmäßige Kontrolle der Wirkung und Nebenwirkungen ist notwendig, um die Dosis individuell anzupassen. Begleiterkrankungen wie Angst- oder depressive Störungen müssen parallel behandelt werden, da sie Verlauf und Therapieerfolg wesentlich beeinflussen.

Welche Rolle spielen nicht-medikamentöse Maßnahmen?

Nicht-medikamentöse Maßnahmen sind besonders bei leichter Symptomatik oder ergänzend zur Pharmakotherapie wichtig. Verhaltenstherapie fördert den Aufbau strukturierter Tagesabläufe, das Erlernen von Planungsstrategien und den bewussten Umgang mit Ablenkungen. Coaching-Programme können helfen, berufliche Anforderungen zu bewältigen und Zeitmanagement zu verbessern. Digitale Anwendungen zur Aufgabenorganisation oder Erinnerung sind im Alltag zunehmend hilfreich. Körperliche Aktivität, regelmäßiger Schlaf und geregelte Ernährung unterstützen die psychische Stabilität, sind jedoch allein nicht ausreichend, um die Kernsymptomatik zu kontrollieren.

Wie ist die Prognose? Mit adäquater Behandlung ist eine deutliche Verbesserung der Symptomatik zu erwarten. Viele Betroffene erreichen eine stabile berufliche und soziale Integration. Ohne Behandlung besteht ein erhöhtes Risiko für Depressionen, Suchterkrankungen, Verkehrsunfälle und soziale Konflikte. Eine regelmäßige ärztliche Begleitung verbessert die Langzeitprognose, da Dosierung, Lebensumstände und Belastungsphasen kontinuierlich angepasst werden können.

Was ist bei der Nachsorge zu beachten? Die Nachsorge umfasst regelmäßige Kontrolltermine, um die Wirksamkeit und Verträglichkeit der Medikation zu überprüfen. Dabei werden Blutdruck, Puls, Körpergewicht und Schlafrhythmus beurteilt. Parallel sollte die Wirksamkeit der Verhaltenstherapie regelmäßig evaluiert werden. Veränderungen der Lebenssituation, etwa Arbeitsplatzwechsel oder neue familiäre Belastungen, können Anpassungen der Behandlung erforderlich machen. Ein langfristiges Monitoring hilft, Rückfälle oder Überlastung frühzeitig zu erkennen. Der "Adult ADHD Quality of Life Scale (AAQoL-29)" misst die Auswirkungen der Therapie auf die Lebensqualität. 

Welche Maßnahmen gelten als Vorbeugung? Da ADHS eine genetisch bedingte Störung ist, lässt sie sich nicht im eigentlichen Sinne verhindern. Präventiv können Risikofaktoren in der Schwangerschaft reduziert werden, insbesondere durch Verzicht auf Nikotin, Alkohol und Drogen. Frühzeitige Diagnostik im Kindesalter ermöglicht rechtzeitige Unterstützung und mindert die Wahrscheinlichkeit schwerer Folgestörungen. Im Erwachsenenalter dient die kontinuierliche Behandlung der Sekundärprävention, um soziale und berufliche Folgeschäden zu vermeiden.

Welche Medikamente werden außerhalb der Zulassung eingesetzt?

In Einzelfällen werden Medikamente wie Bupropion oder Modafinil eingesetzt, wenn zugelassene Präparate nicht ausreichend wirken oder Komorbiditäten bestehen. Diese Anwendungen gelten als Off-Label-Therapien und erfordern eine individuelle ärztliche Begründung sowie eine informierte Einwilligung der betroffenen Person. Der Nutzen muss gegen mögliche Risiken sorgfältig abgewogen werden.

Welche Methoden sind nicht wirksam belegt? Ernährungsumstellungen, Eliminationsdiäten oder die Reduktion von Zucker zeigen keine belastbare Wirkung auf ADHS-Symptome. Homöopathische Mittel und Nahrungsergänzungen sind ebenfalls ohne wissenschaftlichen Wirknachweis. Neurofeedback kann in Einzelfällen ergänzend angewendet werden, ist jedoch aufgrund inkonsistenter Studienlage kein anerkanntes Standardverfahren.

Welche Erkrankungen können ADHS ähneln? Mehrere Störungen können ähnliche Symptome verursachen. Angststörungen führen häufig zu Konzentrationsstörungen, jedoch ohne die für ADHS typische Impulsivität. Depressionen verursachen Antriebsmangel und Einbußen der Aufmerksamkeit, jedoch verbunden mit gedrückter Stimmung. Bipolare Störungen verlaufen episodisch mit Phasen von Überaktivität und Antriebslosigkeit. Schlafstörungen oder Schilddrüsenüberfunktionen können ebenfalls Unruhe und Ablenkbarkeit hervorrufen. Eine sorgfältige Differenzialdiagnostik durch Fachärztinnen und Fachärzte ist notwendig, um Fehldiagnosen zu vermeiden.

Wo kann ich verlässliche Informationen und Unterstützung finden? Informationen zu ADHS bei Erwachsenen bieten der ADHS Deutschland e. V. unter www.adhs-deutschland.de, das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim unter www.zi-mannheim.de und die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) unter www.dgppn.de. Eine fachärztliche Beratung bei einer Ärztin oder einem Arzt für Neurologie oder Psychiatrie ist der geeignete erste Schritt für eine strukturierte Diagnostik und Therapieplanung.